Ein Blog für all das, was beim Recherchieren und Verfassen von Texten eine Fährte auf dem Schreibtisch hinterlässt. Das interessante Detail, das leider die Zeichenzahl sprengt. Das Zitat, das zu viel Kontext braucht. Das Thema, das bei der Recherche nach einem anderen Thema unerwartet auftaucht. Das antiquarische Fundstück, das nirgends reinpasst und doch nicht loslässt. Und vieles, vieles mehr.

Samstag, 3. September 2011

Schreibpfade: zwei Ratgeber zum Thema "kreatives Schreiben"

via Graphics Fairy


Manchmal will es mit dem Schreiben einfach nicht klappen, man kann sich dann frustriert der Hausarbeit widmen, sich vor die Glotze hauen oder Ratgeber zum Thema lesen – was den Vorteil hat, dass man sich einreden kann, immerhin etwas gegen den Stillstand zu unternehmen. Zwei solcher Ratgeber, die das Problem sehr unterschiedlich angehen, möchte ich hier einmal vorstellen: Julia Camerons Der Weg des Künstlers (The Artist’s Way) und Steven Pressfields Morgen fange ich an – Warum nicht heute? (The War of Art).

Die Originaltitel beider Werke erwecken Assoziationen zur fernöstlichen Philosophie. Es handelt sich nicht um klassische Schreibschulen, die technische Tipps und Tricks liefern. Der kreative Prozess ist das Thema und er wird als spirituelle Erfahrung definiert. Eine Erfahrung, die sich einem aber nicht einfach so erschliesst – deshalb widmen sich Cameron und Pressfield den Stolpersteinen auf dem Pfad kreativen Schaffens. Zielpublikum sind nicht nur jene, die mit einer Schreibblockade kämpfen, sondern alle kreativ Tätigen.

Julia Cameron ist Schriftstellerin und Journalistin (und einiges mehr), am bekanntesten ist sie für ihre Kurse und Bücher zum Thema kreatives Schaffen. Der Weg des Künstlers ist ein Workshop, der recht viel Engagement verlangt: über 12 Wochen jeden Tag eine Stunde (muss man nicht sklavisch befolgen).

Grundlage sind zwei Instrumente: die Morgenseiten und den Künstlertreff. Morgenseiten bezeichnen die Gewohnheit, jeden Morgen drei Seiten von Hand zu schreiben, und zwar nicht zu einem bestimmten Thema oder als Tagebucheintrag. Vielmehr soll man einfach drauflos schreiben und sich von allem befreien, was einem gerade durch den Kopf geht (inkl. "mir fällt nichts ein"). Stil und Grammatik sind Nebensache, Hauptsache es wird geschrieben. Beim Künstlertreff verabredet man sich einmal pro Woche mit sich selbst zu etwas, das Spass macht.
 
Das Buch widmet sich in 12 Lektionen der Freisetzung des kreativen Prozesses, eine Lektion sollte eine Woche dauern, in der etliche Übungen zu erledigen sind. Im Original beginnt jede Kapitelüberschrift mit "Recovering" – gemeint ist die Wiederentdeckung zahlreicher Eigenschaften, welche das kreative Schaffen fördern bzw. freisetzen: Stärke, Integrität, Mitleid etc. Dadurch wird der Pfad zur kreativen Energie, dem Universum oder Gott (Cameron überlässt den Lesenden die endgültige Wahl des Begriffs) geöffnet. Der im Buch am meisten zitierte Autor ist übrigens C.G. Jung.

Ich habe das Programm nicht abgearbeitet, aber die Lektüre war trotzdem interessant, sie macht hellhörig für all die Stimmen, die einen aufhalten und blockieren. Von den beiden Grundinstrumenten habe ich die Morgenseiten ausprobiert und tatsächlich einen positiven Effekt festgestellt: der Kopf wird dadurch entrümpelt und es fällt einfacher, sich danach zu konzentrieren.  Die Methode eignet sich aber auch spontan, wenn man mal irgendwo festgefahren ist: Mit einem Stapel Makulatur-Papier hinsetzen und einfach drauflos schreiben, bis das Problem sich im Schreibfluss auflöst.
 
Als ehemaliger Marine kommt Steven Pressfield aus einer ganz anderen Ecke, das zeichnet sich schon beim Original-Titel ab (The War of Art), der sich an Sunzis Klassiker der Strategie anlehnt (The Art of War). Die deutsche Übersetzung tut dem Leser hier keinen Gefallen; wer eine martialische Sprache nicht sonderlich mag, sollte nämlich von Pressfield die Finger lassen. Seine Spezialität sind historischen Romane, die Kriege der Antike zum Thema haben. Zudem hat er sich in letzter Zeit (auch in seinem Blog) immer wieder dem kreativen Prozess gewidmet.

Pressfields Buch ist kein Workshop, in dem es darum geht, durch Verletzungen geschaffene Blockaden aufzulösen – es handelt sich eher um einen in drei Teile gegliederten Schlachtplan. In Teil 1 identifiziert Pressfield den Feind, eine weitere Referenz auf Sunzi ("Kenne dich selbst und kenne deinen Feind, dann musst du den Ausgang von 100 Schlachten nicht fürchten"). Der Feind, das ist der Widerstand, unter dem Pressfield alles zusammenfasst, was uns innerlich vom kreativen Schaffen abhält. Er lässt keine äusseren Faktoren zu; was sich einem in den Weg stellt, das trägt man letztendlich in sich - Punkt.


Teil zwei ist dem Kampf gegen diesen Widerstand gewidmet. Man muss bereit sein zu leiden, sich vom Amateur-Status zu verabschieden und zum Profi zu werden. Die erste Eigenschaft des Profis ist – und das mag bei Pressfields kriegerischer Sprache überraschen – die Liebe (wer Sparta/Gates of Fire gelesen hat, wird weniger überrascht sein). Die weiteren Eigenschaften bewegen sich dann im erwartet spartanisch-stoischen Rahmen: Geduld, Bescheidenheit, Hingabe, Disziplin etc.


Die Kräfte, die den kreativen Prozess fördern, sind Thema des dritten Teils. Wie schafft man es, diese Kräfte für sich zu gewinnen? Pressfields Affinität zur Antike lässt ihn jene Kräfte personalisieren: Er spricht von der Muse, doch wer das nicht mag, kann auch abstraktere Konzepte bemühen. Wer mit Hingabe und Disziplin ans Werk geht, der lädt die Muse zu sich ein und erhält Zugang zur Quelle aller Kreativität.
 
Beide Bücher haben sehr viel mehr gemein als man meinen möchte. Zuerst einmal – auch das muss gesagt werden – beide können nerven: Cameron mit Wattebauschsprache, Pressfield mit Drill-Sergeant-Ton. Aber sie gehen auch beide unter die Haut: Manche der von Cameron verlangten Übungen haben das Potential, recht schmerzhaft zu sein. Pressfield wirft einem Aussagen an den Kopf, denen man sofort heftig widersprechen möchte, um dann zu realisieren, dass gerade diese Heftigkeit ihm recht gibt. Die grösste Übereinstimmung liegt aber in der Einschätzung kreativen Schaffens: es handelt sich um eine Gabe (Gottes/des Universums/der Muse); wer kreiert, erschafft nicht selbst, sondern ist nur Medium, das sich einer spirituellen Erfahrung geöffnet hat.

Profitiert habe ich von beiden Büchern und wenn es wieder mal hapert, dann suche ich gerne bei Cameron oder Pressfield Rat. Wer wann zu Worte kommt, hängt von der Befindlichkeit ab. Als Fazit würde ich sagen: wenn man nicht genau weiss, woran es liegt, dass man mit dem Manuskript (dem Bild, dem Filmprojekt) nicht vom Fleck kommt, sollte man sich die Zeit für Camerons Workshop nehmen. Hegt man hingegen den Verdacht, die Probleme seien hausgemacht und durch einen inspirierten und ordentlichen Tritt in den Allerwertesten zu lösen, dann ist man mit Pressfield bestens bedient. 

Julia Cameron: Der Weg des Künstlers: Ein spiritueller Pfad zur Aktivierung unserer Kreativität, 352 S., Knaur TB 2009.

Steven Pressfield: Morgen fange ich an - warum nicht heute? Überwinden Sie Ihre inneren Widerstände, 175 S., Ariston 2003.