Ein Blog für all das, was beim Recherchieren und Verfassen von Texten eine Fährte auf dem Schreibtisch hinterlässt. Das interessante Detail, das leider die Zeichenzahl sprengt. Das Zitat, das zu viel Kontext braucht. Das Thema, das bei der Recherche nach einem anderen Thema unerwartet auftaucht. Das antiquarische Fundstück, das nirgends reinpasst und doch nicht loslässt. Und vieles, vieles mehr.

Montag, 14. Februar 2011

Zum Valentinstag - Aufforderung zum Tanz

Anstandsbücher sind wahre Fundgruben - egal, ob man die richtige Anrede für adelige Personen sucht oder Feinheiten der Geschlechterbeziehungen recherchiert, man findet dort die Antworten. Ob die oftmals mysteriös anmutenden Regeln auch allen Zeitgenossen bekannt waren, steht hingegen auf einem anderen Blatt. Sicherlich richteten sich vor allem die ausufernden Anstandsbücher des 19. Jahrhunderts eher an die gehobenen Stände. Die darin beschriebenen Rituale und Zeremonien sind dermassen aufwendig, dass sie wohl nur von Leuten mit viel Musse erlernt und befolgt werden konnten. Das Beherrschen dieses Regelwerks war damit auch ein Standesmerkmal.

Wie sehr sich dieses Regelwerk innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums verändern konnte, lässt sich anhand eines zum Datum passenden Themas gut verfolgen - nämlich der Aufforderung zum Tanz bzw. den verschiedenen Regeln, die bei Tanzveranstaltungen zu beachten sind.

J.v. Wedells Werk "Wie soll ich mich benehmen?" aus dem späten 19. Jahrhundert befasst sich in sage und schreibe drei Kapiteln (über 50 Seiten!) mit Abendgesellschaften, Tanzveranstaltungen,Tänzen und Tanzordnungen. Im Kapitel "Im Tanzsaal" werden all die faux pas, welche sich bei dieser Gelegenheit begehen lassen, minutiös aufgelistet: Herren, die nur herumstehen und nicht zum Tanz bitten (hallo, Mr Darcy); Damen, die sich selbst einem Herrn vorstellen; mit einer Dame mehr als einen Tanz hintereinander tanzen; beim Tanzen die Tanzfläche versperren; bei der Damenwahl einen Herrn holen, dem frau noch nicht vorgestellt wurde; einen versprochenen Tanz vergessen und natürlich die Schlimmste aller Sünden: einem Herrn einen Tanz verweigern und dann mit einem anderen tanzen! Das sind bei weitem nicht alle Regeln, sondern nur die wichtigsten!

In "Darf ich mir erlauben" von Hans Martin sieht das alles schon ganz anders aus. Das Büchlein ist nicht so umfangreich wie von Wedells und Themen werden allgemein ökonomischer abgehandelt. Das genaue Erscheinungsdatum konnte ich nicht eruieren, aber die Illustrationen und die Tatsache, dass Muterbriefe oft mit "Mit deutschem Gruss" unterzeichnet sind, deuten auf die späten 30er Jahre des 20. Jahrhunderts hin. Das Buch wendet sich an den gehobenen Mittelstand (das wird aus den ausführlichen Auflistungen der nötigen Garderobe klar). Unter dem Titel: "Es wird getanzt - Auf Bällen und in öffentlichen Lokalen" wird die Aufforderung zum Tanz kurz und bündig abehandelt:

"Hast Du die Absicht, mit einer Dir fremden Dame, die an einem anderen Tisch in Herrengesellschaft sitzt, zu tanzen, so frage den neben ihr sitzenden Herrn: 'Gestatten Sie, dass ich mit der Dame tanze?' (ohne dass Du Dich vorstellst). Nach dem Tanz führst Du die Dame zu ihrem Platz zurück, bedankst Dich bei ihr ('Danke sehr!' genügt) und verbeugst Dich gegen die Herren. Die Dame hat nicht die mindeste moralische Verpflichtung, mit Dir zu tanzen. Es ist daher auch keine Beleidigung, wenn sie den Tanz mit Dir dankend ablehnt."

Der kurze Abschnitt endet mit der Aufforderung, sich im Übrigen an das zu erinnern, was einem der Tanzlehrer beigebracht habe.
 
Die Anstandsdamen, in v. Wedells Text allgegenwärtig, sind verschwunden, eine (unverheiratete) Frau darf in Herrengesellschaft ausgehen. Ebenfalls verschwunden sind die Tanzkarte sowie die Regel, dass nur eine Dame, der man bereits vorgestellt wurde, zum Tanz aufgefordert werden kann. Und die Dame kann einen Tanz ohne Grund ablehnen - bei v. Wedell darf dies nur unter dem Vorwand der Müdigkeit geschehen.

Eine Erklärung für diese z.T. doch drastischen Veränderungen der Etikette stellt wohl der grosse gesellschaftliche Wandel dar, der nach dem Ersten Weltkrieg einsetzte und dem viele der alten Regeln zum Opfer fielen.

Übrigens gelten zumindest bei Anlässen mit strenger Etikette immer noch etliche Regeln für die Aufforderung zum Tanz. Und einem Herrn einen Tanz zu verweigern und dann mit einem anderen zu tanzen, wird auch im 2008 erschienen Knigge noch als äusserst schlimmer Fehltritt aufgelistet.

(Die Volltextversion von J. v. Wedells "Wie soll ich mich benehmen" kann man bei Zeno nachlesen. Das Bild stammt ebenfalls aus "Wie soll ich mich benehmen?")


Montag, 7. Februar 2011

Dem Bücherklau ein Ende!


Wer kennt sie nicht, die lieben Freunde, Bekannte und Verwandte, denen man Bücher auf Nimmerwiedersehen ausleiht. Der einzige Schutz gegen diese bibliophilen Schwarzen Löcher besteht wohl darin, Bücher niemals aus der Hand zu geben, aber das wird dann schon bald als wenig liebenswerte Schrulle gesehen. Es bleibt als letzter Ausweg das Ex Libris, welches man in der Hoffnung einklebt, der Anblick möge ausreichend Schuldgefühle auslösen, um das Buch irgendwann wieder heimkehren zu lassen.

Man kann fertige Ex Libris-Sticker kaufen oder bei entsprechend künstlerischer Begabung am Computer selbst entwerfen und ausdrucken. Oder man hält auf Flohmärkten und Antiquariaten nach hübschen Exemplaren Ausschau. Ex Libris gibt es seit dem 15. Jahrhundert und inzwischen sind sie auch zu begehrten Sammlerstücken geworden. Manchmal ist ein Ex Libris wertvoller als das Buch selbst - dass man über ein solches Exemplar per Zufall stolpert, ist zwar eher unwahrscheinlich, aber man weiss ja nie.

Doch auch die weniger wertvollen Stücke haben ihren Reiz, das schönste Ex Libris, das ich bisher gefunden habe, stammt aus einem "Lehrbuch für die Englische Sprache" aus dem Jahr 1903. Es ist kein personalisiertes Einzelstück, sondern wurde in die Innenseite des Buchdeckels vorgedruckt. Ich habe den Scan etwas bereinigt und dann einfach mal mit verschiedenen Farben gespielt. Jugendstil würde nach etwas gedämpfteren Tönen verlangen, aber draussen spürt man schon fast den Frühling - deshalb die Bonbonfarben. Auch eine hübsche Geschenkidee - vor allem dann, wenn man selbst zur Bücherklau-Fraktion gehört.

Samstag, 5. Februar 2011

Orientierungshilfen: Historische Karten


Ich habe eine Schwäche für alte Karten, sie sind eingefrorene Geschichte und man kann sich darin einfach verlieren.

Natürlich sind sie auch ein hilfreiches Arbeitsinstrument, egal ob man nun ein Geschichtswerk liest, selber recherchiert oder einen historischen Roman verfasst (vor allem, wenn die Handlung in einer Stadt spielt).

Zum Glück gibt's inzwischen zahlreiche on-line Kartensammlungen, so dass man sich nicht im Antiquariat ruinieren muss - Atlanten als Schnäppchen im Flohmarkt sind ja selten geworden.

Eine der grössten Sammlungen ist die David Rumsey Historical Map Collection. Die Sammlung ist riesig und es gibt jede Menge technischer Spielereien für die Ansicht. Downloads in verschiedener Grösse sind möglich und man kann auch Kunstdrucke bestellen. Schwerpunkt der Sammlung ist Nordamerika, es finden sich aber auch zahlreiche Werke zu Europa, Asien und Afrika. Das historische Kartenmaterial, das man als Layer in Google-Earth aufschalten kann, stammt aus dieser Sammlung.

Ebenfalls im angelsächsischen Raum beheimatet ist Mapco, besonders zu empfehlen für Anglophile und Liebhaber von London.

Karten aus deutschen Quellen finden sich auf Hic Leones (die Website scheint leider nicht mehr aktualisiert zu werden). Das Material stammt aus Nachschlagewerken des späten 19. Jahrhunderts(Brockhaus und Meyers Konversationslexika). Vor allem die Stadtpläne mit Strassenregister sind sehr interessant. 
Klein aber fein: historische Schweizer Landkarten gibt's hier.

Was macht man mit all den Karten, wenn man sie nicht (mehr) zum Arbeiten braucht? Man kann sie auf einem schönen Papier (am besten Chamois) ausdrucken und sie sich zum Träumen an die Wand hängen. Oder das nächste Mal, wenn man ein Buch verschenkt, die passende Karte dazu legen - beispielsweise diese zu einem Sherlock Holmes Band(die Baker Street liegt zwischen Hyde und Regents' Park, 3 B-C). Eine Karte von Dublin zu den "Dubliners" oder der "Ulysses", eine Karte von Paris zu Balzacs Werken usw. bis die Druckerstatus-Anzeige aufblinkt.


Afrika-Karte aus dem Jahr 1938.