Ein Blog für all das, was beim Recherchieren und Verfassen von Texten eine Fährte auf dem Schreibtisch hinterlässt. Das interessante Detail, das leider die Zeichenzahl sprengt. Das Zitat, das zu viel Kontext braucht. Das Thema, das bei der Recherche nach einem anderen Thema unerwartet auftaucht. Das antiquarische Fundstück, das nirgends reinpasst und doch nicht loslässt. Und vieles, vieles mehr.

Mittwoch, 10. August 2011

Verkehrstechnischer Sprachunterricht


Und nochmals eine Flohmarkt-Trouvaille, bei der es um das Erlernen von Fremdsprachen geht: "Goldschmidts Bildertafeln für den Unterricht im Deutschen" aus der Reihe "Fremdsprachlicher Unterricht auf Grundlage der Anschauung". Thora Goldschmidt war eine dänische Sprachlehrerin, die Ende des 19. Jahrhunderts damit begann, Sprachlehrbücher mit Bildertafel zu publizieren. Ihre Methode basierte auf visueller Vermittlung von Wissen durch die Bildtafeln und des ausschliesslichen Gebrauchs der Fremdsprache während des Sprachunterrichts. Goldschmidt lehnte das Memorieren der auf den Bildtafeln abgebildeten Begriffen debenso ab wie Erläuterungen des Lehrers in der Muttersprache. Bildtafeln wie beigefügte Texte sollten lediglich als Basis für die Vermittlung der Lehrinhalte dienen.
Gekauft habe ich das Buch, weil die 36 Bildtafeln ungemein unterhaltsam sind und zudem jede Menge Informationen zur Alltags- und Begriffsgeschichte liefern - wer weiss denn heute noch, wie ein "Schuhknöpfer" oder ein "Flederwisch" aussieht oder dass Damen kein "Unterhemd", sondern eine "Untertaille" trugen?
Diese Abbildung stammt aus der vierte Ausgabe von 1920, welche um eben dieses Bild - "Kraftwagen - Luftfahrzeuge" - erweitert wurde.


Das Bild und das dazugehörige Textmaterial geben interessante Einblicke in die Entwicklung verschiedener Termini, liefern aber auch technikgeschichtliche Details.
Man wundert sich vielleicht über den Azetylenapparat (12) - auf dem Trittbrett (11) des Personenkraftwagens (1). Er gehört zur Laterne (19) und beides zusammen bildet eine Karbidlampe, mit welchen die frühen Automobile ausgerüstet waren.
Das landwirtschaftliche Gerät hinten links ist ein Motorpflug (33); weder "Schlepper" noch "Traktor" scheinen damals verwendet worden zu sein. Das "Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilswissenschaften" (hrsg. von Otto Lueger) hilft weiter: "Maschinenpflüge, im engeren Sinne ein durch Maschinen anstatt durch Zugtiere gezogener Pflug, im weiteren Sinne die zur mechanischen Bodenkultur verwendeten Maschinen und Geräte."
Interessant ist auch die Luftschiffhalle (34) im Hintergrund, man möchte meinen, dass der Begriff später von dem modernen "Hangar" abgelöst wurde - aber anscheinend ist die Begriffsgeschichte etwas komplizierter, in Luegers Lexion steht unter Hangar: "Nicht mehr üblicher Ausdruck für Flugzeugschuppen." 
Bei den abgebildeten Fluggeräten fallen vor allem die elegant geschwungenen Tragflächen (46) des Eindeckers (44a) auf. Startet man eine Bildersuche für "Eindecker" wird schon bald klar, dass nur sehr wenige Flugzeugtypen solche Tragflächen aufwiesen. Der Grafiker liess sich eventuell von der Etrich Taube inspirieren.
Den Doppeldecker (44b) überlasse ich den Aeronautik-Spezialisten, aufgefallen im Bildvergleich ist mir aber die Flügelspannweite und die hohe Zahl der Vertikal-Streben (die bestimmt ganz anders heissen), ev. stand eine de Havilland Pate.
Beim Luftschiff (38) handelt es sich laut Begleittext um einen "Zeppelin-Typus", der "mehrere Dutzend Passagiere" befördern könne.

Die Fluggeräte tauchen auf einer weiteren Tafel des Buches zu "Armee - Marine - Aviatik" nochmals auf.


Tatsächlich findet sich hier beim Eindecker (69) die Ergänzung "Taube". Das Zeppelinluftfahrtschiff (35) ist freundlicherweise mit der Bezeichnung "Hansa" versehen; die volle Bezeichnung dieses Luftschiffs war LZ 13 Hansa*. Die beiden Tafeln liefern so ganz nebenbei die Geschichte dieses Modells, das sowohl zivil wie militärisch genutzt wurde. 
Zur militärischen Aviatiktafel gibt es ebenfalls einen Begleittext, in dem technische Details der Luftschiffe diskutiert werde, so auch die verschiedenen Typen: Welches System befolgt Graf Zeppelin? - Das starre; es gibt auch das halbstarre System, nach dem die Schiffe des Majors v. Parseval konstruiert sind.**

Auch im Begleittext zur ersten Tafel nehmen die Luftschiffe eine besondere Rolle ein. Der Text schliesst mit einem Dialog zwischen einem fortschrittsvernarrten Liebhaber des "Autosports" und einem Herrn, der von den neuen Transportmitteln sehr viel weniger begeistert ist. Lediglich die Luftschiffe haben es ihm angetan: Aber sehr gern würde ich einmal mit dem Zeppelin-Luftschiff fahren. Man muss doch da, wenn man so durch die Luft fährt, ohne gleichzeitig sich um das Steuern der Maschine kümmern zu müssen, gewaltige Eindrücke haben. 
Was sein Gegenüber dazu veranlasst, eine abschliessende, korrekte Voraussage über die weitere Entwicklung der zivilen Luftfahrt zu machen: Es wird nicht mehr lange dauern, bis man Gelegenheit haben wird, mit Luftschiffen und grossen Flugzeugen regelmässig zu fahren, und zwar ebensogut und gefahrlos, wie mit der Eisenbahn.

Die 1909 gegründete DELAG (Deutsche Luftschiffahrtsaktiengesellschaft) gilt als die älteste Fluglinie der Welt, doch der Erste Weltkrieg stoppte das Unternehmen in seiner Entwicklung. Die 20er Jahre und frühen 30er Jahre sollten dann zum Goldenen Zeitalter der Zeppeline werden, während gleichzeitig die ersten mit Flugzeugen operierenden Fluggesellschaften gegründet wurden. Nach der Hindenburg-Katastrophe 1937 begann dann endgültig das Zeitalter der Passagierflugzeuge.





* Es gehört zu den Geheimnissen Wikipedias, warum dieser Eintrag nur auf Englisch und Holländisch existiert. 
** Von Parseval konstruierte sowohl halbstarre wie Prallluftschiffe (Blimps), während die von Zeppelin konstruierten Luftschiffe heute als Starrluftschiffe bezeichnet werden.

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